Wo sind denn nur alle hin? – Zur aktuellen Entwicklung des deutschen Arbeitsmarkts

Ob Flughafen, Restaurant oder Schwimmbad, falls überhaupt geöffnet ist, herrscht das Chaos. Der Grund: Personalmangel. Und auch wer diese Tage einen Blick in die deutsche Presselandschaft wagt, trifft immer auf die gleiche Frage: „Wo sind denn die ganzen Arbeitskräfte hin?“ Angeblich rätseln sogar die Ökonomen und so mag man recht schnell den Eindruck gewinnen, vor einem wahren Mysterium zu stehen.

Über die aktuellen Entwicklungen am deutschen Arbeitsmarkt lässt sich gewiss vieles sagen, doch vor einem „Geheimnis“, der sich jeglicher Erklärbarkeit entzieht, stehen wir wohl kaum. Die derzeitigen Verwerfungen auf den Arbeitsmarkt sind natürlich im Wesentlichen eine direkte Konsequenz der Corona-Pandemie bzw. der in diesen Rahmen getroffenen politischen Entscheidungen.

Auf Spurensuche

Deutschland läuft, wie viele andere Länder auf der Welt, schnurstracks auf eine demographische Zeitbombe zu. So stehen immer mehr Rentner immer weniger Erwerbstätigen gegenüber. Doch richtig spürbar sollte dieser Effekt erst in einigen Jahren mit dem Ausscheiden der sogenannten Babyboomer werden.

Auch die Arbeitslosen- bzw. Erwerbstätigenquote hat sich dank Kurzarbeit in den letzten 2 Jahren nur geringfügig verändert. Wenn aber nicht von einem Tag auf den anderen Millionen Deutsche spurlos verschwunden sind, wie lässt sich der Eindruck erklären, dass mittlerweile das vorher überall vorhandene Personal fehlt.

Kein „Hire and Fire“

Auch ein Trend der in Amerika als „Great Resignation“ bekannt geworden ist und die massenhafte Kündigungswelle bei Arbeitnehmern beschreibt, fällt als Erklärungsansatz aus. In Europa herrscht, im Kontrast zu dem in der USA praktizierten „hire and fire“, eine ganz andere Mentalität und rechtliche Absicherung vor. So verwundert es kaum, dass laut Enzo Weber (Forschungsleiter am Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung) die Fluktuation sogar noch geringer ausfällt als vor der Corona-Pandemie. Im Gegenteil, die Historie lehrt, dass besonders in Krisenzeiten Jobwechsel eher selten und wenn, dann unfreiwillig erfolgen. In Zeiten großer Not tendieren Menschen vielmehr dazu, sich an ihren Arbeitsplatz zu klammern.
In Europa wird Personalabbau oft nicht durch Entlassungen, sondern durch ausbleibende Einstellungen vorgenommen. Es wird vor allem bei den derzeit am stärksten betroffenen Branchen sichtbar. Sie hatten besonders unter den Corona-Beschränkungen bzw. den Lockdowns zu leiden. Die fehlende Planungssicherheit führte zur Aussetzung von Neueinstellungen und dem gleichzeitigen Auslaufen von Zeitarbeitsverträgen. Auch um den Rechtsanspruch auf Kurzarbeitergeld nicht zu verlieren, sahen sich viele Firmen gezwungen, die Beschaffung von Ersatzpersonal hintenanzustellen.

Misserfolg ist kein Waisenkind

Dazu kamen firmen- und branchenspezifische Probleme. Vielerorts hatte man die letzten Jahre eher verstärkt auf Effizienz statt Resilienz gesetzt. So gestand Lufthansa-CEO Carsten Spohr zuletzt, dass man es mit dem Sparen „an der ein oder anderen Stelle“ übertrieben habe.
Stark betroffen waren auch Branchen mit einem hohen Anteil von Minijobern bzw. anderen geringfügig Beschäftigten ohne Anspruch auf Kurzarbeitergeld. Im Fall der Gastronomie kam zusätzlich die Abhängigkeit vom Trinkgeld erschwerend hinzu und trug zur Abwanderung bei. Die Attraktivität einer Laufbahn im Gastgewerbe, welche bereits vorher von miesen Arbeitszeiten, befristeten Beschäftigungsverhältnissen und mäßiger Bezahlung belastet war, leidet zusätzlich unter keinerlei Planungssicherheit. Die Politik trägt bis heute kräftig zu der Verschärfung bei. Es ist höchst verwunderlich, dass zwei Jahre nach Beginn einer weltweiten Pandemie, im Zeitalter der Algorithmen und Daten, anscheinend keine Schlüsse über die Wirksamkeit bestimmter Maßnahmen gezogen werden können. So geht die deutsche Wirtschaft wohl erneut mit vielen Fragezeichen in den bevorstehenden Winter.

Täuscht der Eindruck?

Die Pandemie und die in ihrem Zusammenhang beschlossenen Maßnahmen führten dementsprechend zu einer Verschiebung der Nachfrage vom größtenteils geschlossenen Dienstleistungssektor in den Güterbereich. Eine unbesetzte Stelle fällt den Verbraucher im kontaktintensiven Dienstleistungsbereich eher ins Auge als in anderen Geschäftsbereichen. Beispielsweise nehmen Verbraucher die Einstellung eines zusätzlichen Lagerarbeiters im Logistikzentrum eines Onlinehändlers praktisch kaum wahr.

Temporäre Engpässe offenbaren Reformbedarf

Abschließend lässt sich anmerken, dass es sich bei der aktuellen Situation eher um einen temporären Engpass handelt. Sollte sich die Unsicherheit über die zukünftige Entwicklung genannter Branchen auflösen, wird sich auch mittelfristig die Personalsituation normalisieren. Ob jedoch das alte Beschäftigungsniveau erreicht werden kann, ist zu bezweifeln. Der langfristige Ausblick steht allerdings auf einem anderen Blatt. Der Erhalt der deutschen Wirtschaftskraft wird ohne massive Migration und enormen technischen Fortschritt kaum realisierbar sein.